Sozialversicherungsrecht bei Matrixstrukturen im nationalen und internationalen Kontext

Bei genauem Blick auf die Organisationsstrukturen nationaler und internationaler Konzerne wird deutlich, dass die gesellschaftsrechtliche Organisation nicht mehr streng hierarchisch erfolgt, sondern vielmehr eine Untergliederung der Struktur nach funktionalen oder produktionsspezifischen Aspekten erforderlich wird – die sog. Matrixstruktur.

Von einer Matrixstruktur wird dann gesprochen, wenn verschiedene Funktionsbereiche, wie bspw. die Rohstoffbeschaffung, von der Produktion und dem Vertrieb getrennt werden und auch die Produktbereiche nach Sparten aufgeteilt werden, wobei eine Bündelung der einzelnen Bereiche bei der jeweiligen Tochtergesellschaft erfolgt. Dies hat für den einzelnen Mitarbeiter zur Folge, dass aufgrund der den jeweiligen Rechtsträger übergreifenden Organisationsstrukturen das Weisungsrecht nicht nur vom Vertragsarbeitgeber ausgeübt wird.

Kernpunkt der arbeitsrechtlichen Problematik ist grundsätzlich eben dieses Weisungsrecht und die Bestimmung des Vertragsarbeitgebers. Für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung, sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext, besitzt dies jedoch keinerlei Relevanz: Maßgeblich für die Beurteilung, welchem Sozialversicherungsrecht der Mitarbeiter unterliegt, ist ausschließlich das internationale Recht einschließlich bilateraler Abkommen sowie das nationale Recht. Diese knüpfen an den sog. Territorialitätsgrundsatz an.
 

Beschäftigung im deutschen Konzern ohne grenzüberschreitenden Bezug

Das nationale deutsche Recht folgt dem Territorialitätsgrundsatz, das deutsche Recht gilt also auf dem gesamten Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt damit, wer auf diesem Hoheitsgebiet einer abhängigen Beschäftigung oder einer selbständigen Tätigkeit nachgeht (Beschäftigungsortprinzip).
 

Grenzüberschreitende Beschäftigung im internationalen Konzern

Wird ein Mitarbeiter im Konzern grenzüberschreitend tätig, sind die internationalen Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zu beachten, da diese einen Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht genießen. Ohne diese Koordinierungsvorschriften würde der Mitarbeiter aufgrund seiner Tätigkeit in verschiedenen Ländern immer verschiedenen Sozialversicherungssystemen unterfallen.

Zu unterscheiden sind hierbei Tätigkeiten innerhalb der Europäischen Union einschließlich der EWR-Staaten und der Schweiz, in denen das anwendbare Sozialversicherungsrecht durch die Verordnung (EG) 883/2004 bestimmt wird, der Länder, mit denen Deutschland ein Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat sowie das übrige vertragslose Ausland.

Im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 883/2004 unterliegt der Mitarbeiter immer nur den sozialversicherungsrechtlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats.

Allerdings sieht die Verordnung Ausnahmen vom Territorialitätsgrundsatz vor, wonach die Normen über soziale Sicherheit des Landes nicht anwendbar sind, wenn zum einen aufgrund einer Entsendung für die Dauer von maximal 24 Monaten eine Tätigkeit für den inländischen Arbeitgeber im Ausland erbracht wird; und zum anderen wenn der Mitarbeiter seine Tätigkeit gleichzeitig oder abwechselnd in verschiedenen Mitgliedsstaaten ausübt. In beiden Fällen findet das Sozialversicherungsrecht desjenigen Wohnmitgliedsstaates Anwendung, in dem der Mitarbeiter den wesentlichen Teil (also mehr als 25 Prozent) seiner Tätigkeit erbringt. Wird im Wohnmitgliedsstaat hingegen weniger als 25 Prozent der Tätigkeit erbracht, kann das anwendbare Sozialversicherungsrecht, je nachdem wie viele Arbeitgeber existieren und in welchem Land der Mitarbeiter seinen Wohnsitz und die Arbeitgeber ihren Sitz haben, sich nach dem Sitz des Arbeitgebers richten, in den Wohnmitgliedsstaat zurückfallen oder in einem dritten Mitgliedsstaat liegen.

Als Nachweis über das anzuwendende Sozialversicherungsrecht dient eine sog. A1-Bescheinigung.
 

Fallbeispiel

Die A-GmbH ist eine Tochtergesellschaft der M-AG mit Sitz in Deutschland. Die M-AG ist spezialisiert auf Fertighäuser. Die A-GmbH bündelt im Rahmen der Matrixorganisation die Funktionsbereiche des Materialeinkaufes und der Produktion – sie ist auf die Produktsparten Elektroinstallationen und Sicherheitssysteme spezialisiert. Die Produktion der Produktsparten erfolgt in einem Werk in Österreich. Mitarbeiter M ist Funktionsmanager und als solcher für die Qualitätssicherung zuständig, wobei sein Aufgabenbereich u.a. die Prüfung des Wareneingangs und die Einhaltung der Qualitätsstandards der Endprodukte umfasst. Der in Deutschland wohnende M hat deshalb Arbeitstage am Sitz der A-GmbH in Deutschland und 5 Arbeitstage pro Monat im Werk in Österreich.

Es liegt eine Beschäftigung in mehreren Mitgliedsstaaten vor (Art. 13 der VO (EG) 883/2004). M unterliegt auch für seine Tätigkeitstage in Österreich ausschließlich den Rechtsvorschriften seines Wohnmitgliedsstaates Deutschland, da er hier den wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausübt.

Außerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung ist zunächst zu prüfen, ob ein bilaterales Abkommen mit dem Land besteht, in dem die Tätigkeit des Mitarbeiters erbracht wird. Diese Sozialversicherungsabkommen erfassen üblicherweise nicht alle Zweige der Sozialversicherung, die übrigen Zweige sind dann nach dem jeweiligen nationalen Recht zu behandeln.

Soll im obigen Beispielsfall Mitarbeiter M vorübergehend für ein Jahr im Werk in den USA tätig werden, so beurteilt sich das anzuwendende Sozialversicherungsrecht nach dem deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen. Dieses umfasst nur die Rentenversicherung, eine Koordinierung der Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung sieht das Abkommen nicht vor.

Im sog. vertragslosen Ausland, in dem keine bilateralen Abkommen über das anzuwendende Sozialversicherungsrecht bestehen, ist auf nationales Recht zurückzugreifen. Hierbei bestimmt § 4 SGB IV, wann deutsches Sozialversicherungsrecht aufgrund der sog. Ausstrahlung auf einen im Ausland tätigen Mitarbeiter anzuwenden ist.

Der umgekehrte Fall, die sog. Einstrahlung, ist in § 5 SGB V geregelt und bestimmt, wann deutsches Sozialversicherungsrecht auf einen in Deutschland tätigen Mitarbeiter nicht anzuwenden ist, weil dieser nach wie vor dem ausländischen Sozialversicherungsrecht unterfällt.

Für die Beurteilung der anwendbaren sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften bedarf es einer umfassenden Prüfung im Einzelfall, insbesondere im Hinblick auf die zugrundeliegende arbeitsvertragliche Gestaltung um überraschende Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen oder die Abführung an einen unzuständigen Träger zu vermeiden. Ebenso sollte die steuerliche Betriebsstättenthematik im Auge behalten werden.
 

zuletzt aktualisiert am 10.02.2016

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Jessika Gruber

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